Kultur als Lebensader der Zusammenarbeit mit Russland.

Badenweiler und der erste „Deutsch-russische Dialog“ des „Walter-Scheel-Forums“.

Heinz Setzer:

Vom 3.-5. 12.2012 hatten  das „Walter Scheel-Forum“ und der russische Honorarkonsul in Baden-Württemberg, Prof. Dr. Klaus Mangold,  zum ersten „Deutsch-russischen Dialog in Baden-Württemberg“ geladen. Fast 100 Repräsentanten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und öffentlichem Leben aus Deutschland und Russland waren ins Münstertal, Bad Krozingen und Freiburg gekommen,  um zum Ausbau der deutsch-russischen Beziehungen beizutragen und den zivilgesellschaftlichen Dialog beider Länder durch persönliche Kontakte zu vertiefen.

Fachlicher Höhepunkt war das eintägige Symposium (14.12.) im Herzzentrum Bad Krozingen mit Eröffnungs-Redebeiträgen Konsul Prof. Mangold; Wladimir Granin, Botschafter der Russischen Föderation in Berlin; Tatjana Murdasowa, Kulturministerin des russischen Gebiets Ulanowsk; Martin Hoffmann,  Geschäftsführer des Deutsch-russischen Forums (Petersburger Dialog) und dem deutschen Außenminister Dr. Guido Westerwelle.  Drei „Panels“ mit jeweils vier Impulsreferaten und anschließender Diskussion sollten anschließend den Sitzungstag bis zum Abend füllen. Der 93-jährige Schirmherr, Altbundespräsident Dr. Walter Scheel (Außenminister und Vizekanzler 1969-1974; Bundespräsident 1974-1979), der in Bad Krozingen wohnt und damit den Tagungsort vorgegeben hatte, war bei Dr. Westerwelle anwesend, ansonsten wurde er durch Gattin Barbara vertreten.

Badenweiler war zwei Monate zuvor aufgrund seiner internationalen Tschechow-Gedenkkultur vom Geschäftsführer  des Scheelschen Bundespräsidialamts, Christoph Höppel, gebeten worden, Tschechowexperten aus Russland zur Teilnahme vorzuschlagen. Bürgermeister Karl-Eugen Engler und Museumsleiter Heinz Setzer waren sich der damit  gebotenen Chance bewusst, Badenweilers Literaturtradition eine neue öffentliche Plattform verschaffen zu können.  Teilgenommen haben so die Professoren Konstantin Bobkow (Generaldirektor des Tschechow-Museums und der Gedenkstätte Melichowo), Viktor Gultchenko (Regisseur des Theaters „International Chekhov Lab“ und Direktor des „Tschechow-Instituts“ des „Staatlichen Zentralen Bachruschin-Theatermuseums Moskau“) und Wladimir Katajew, (Ordinarius der Lomonossow-Univ. Moskau,  Vorsitzender der „Tschechow-Kommission der Russ. Akademie der Wissenschaften“). Alle sind zudem, ebenso wie die angereisten Professoren Rolf-Dieter Kluge (Tübingen/Warschau) und Elisabeth Cheauré (Freiburg) aktive Mitglieder der Deutschen Tschechow-Gesellschaft  (DTG) mit Sitz in Badenweiler.  Gultchenko hielt im Panel 2 das Impulsreferat zum in Moskau gegründeten „Tschechow-Institut“ als Modell für ein neues kulturelles grenzüberschreitendes Netzwerk. Eine enge Zusammenarbeit von Tschechow-Institut, Literarischem Museum Badenweiler und DTG ist bereits verabredet, eine für beide Seiten rechtlich angemessene Kooperationsform wird zur Zeit diskutiert.

Die Literatur-Experten verliehen dem ganzen Forum einen besonderen Tschechow-Flair. Viele Anwesende und Referenten waren für Badenweiler keine Unbekannten, etwa Arkadi Sosnow, Chefredakteur des Almanachs „Russischer Mäzen“ aus St. Petersburg, welcher schon 2004 die „Tschechow-Woche“ in Badenweiler begleitet hatte; Dr. Ernst-Jörg von Studnitz, dt. Botschafter a.D. in Moskau und Vorstandsvorsitzender des Dt.-russ. Forums (Petersburger Dialog); Dr. Gernot Erler, MdB, ebenfalls Vorstandsmitglied des Dialogs sowie Präsident des DTG-Kuratoriums; Wladimir Kotenjow, russ. Botschafter a.D.  und  Ruslan Karsanow, amtierender russischer  Generalkonsul in Frankfurt.  

Badenweiler hatte nicht nur im Plenum auf seine besonderen deutsch-russischen Traditionen aufmerksam machen können, stand doch schon beim ersten Abend des Forums (3.12.) im Anwesen Dr. Mangolds der Name Tschechows im Zentrum, da die literaturbegeisterte Barbara Scheel im Duo mit dem Badenweilerer Schauspieler Martin Lunz zur kulturellen Einstimmung drei Tschechow-Humoresken vortrug. Und Bürgermeister Karl-Eugen Engler fand mit dem russischen Ritual des „dritten Toasts“ auf die Damen große Zustimmung, war dies doch ein verständliches Zeichen, dass die offiziöse Protokollebene deutsch-russischer Begegnungen überwunden war.

Die strategische Richtung des Forums zeigte sich am deutlichsten in der Plenumstagung. Bei seiner Eröffnungsrede verwies Dr. Mangold auf die Geschichte beider Länder. 1970, als Bundeskanzler Willy Brandt und Walter Scheel als damaliger Außenminister in Moskau den „Vertrag für Gewaltverzicht und für Zusammenarbeit mit der Sowjetunion“ unterzeichneten, war kaum vorstellbar, dass Russland jemals ein unverzichtbarer Partner Deutschlands werden könne, auch wenn es manchmal, wie jetzt, politische Verstimmungen gebe. Deswegen gelte es, primär und konstruktiv die Gemeinsamkeiten und nicht das Trennende zu betonen. Außenminister Westerwelle ging im Festvortrag gleichfalls von der  grundlegenden  Wende in der dt. Ostpolitik aus, um darzulegen, dass Russland gerade wegen seiner Kultur ein europäisches Land sei. Die heutige strategische Partnerschaft sei unverzichtbar, Kultur und Jugendaustausch müssten treibende Elemente werden,  wozu auch eine rasche Visaabschaffung, zumindest für Jugendliche, gehöre. Gerade angesichts der aktuellen Verstimmungen müsse man über den „Modernisierungsdialog“  und Kulturbegegnungen zum Zusammenwachsen der Gesellschaften gelangen. Die florierende Wirtschaft alleine könne diese Weltoffenheit nicht bewirken. Das deutsch-russische Kulturjahr 2012/13 mit seinen über 1000 Veranstaltungen werde dazu einen bedeutenden Beitrag leisten. Die nachfolgenden zwölf Referate, so auch das von Gultchenko über das „Tschechow-Institut“, waren Lehrbeispiele dafür, wie dies gelingen könne, aber auch, welche kritischen Schwellen noch existierten. Ein festlicher Empfang durch OB Dr. Dieter Salomon im Kaisersaal in Freiburg sowie eine Führung durch das vorweihnachtliche Stadtzentrum setzten die beeindruckenden Schlusspunkte zum Forum.

Badenweiler und DTG konnten nach drei Tagen die Überzeugung mit nach Hause nehmen, dass man sich mit seinen Kontakten im Namen Tschechows  zu Städten, Museen, Universitäten und Theatern in Russland mit zu den Pionieren des deutsch-russischen Dialogs zählen durfte und dies auch weiter wirken würde.