Patente Partnerschaft.

Internationale Tschechow-Woche mit Glanz zu Ende.

Mit Inszenierungen, Vorträgen und Exkursionen vollgepackt, erwies sich die „Internationale Tschechow-Woche“ vom 12.-16.7.2012 nicht nur als Glanzstück der Badenweilerer Tschechow-Rezeption, sondern auch als spannende Bühne für einen intensiven deutsch-russischen Kulturdialog. Dass diese Kulturwoche, die traditionell um die Zeitachse des Sterbetags Anton Tschechows in Badenweiler (15.7.) gefeiert wird, ins gerade eröffnete „Jahr der Deutsch-Russischen Begegnung 2012/13“ beider Staaten fiel, verlieh ihr zusätzlich Gewicht. So zeigte sich, dass die Badenweilerer Ambitionen deutsch-russischer Kulturbegegnungen nicht nur parallel zur aktuellen kulturpolitischen Zielrichtung des Dialogs zwischen Russland und Deutschland verlaufen, sondern diese teilweise sogar vorwegnahmen, geht doch die erste Nachkriegsfeier für Tschechow bis ins Jahr 1954, also mitten in den „Kalten Krieg“ zurück. In diesem Jahr wurde diese Tradition durch ein besonderes Jubiläum sichtbar: die zehnjährige Partnerschaft mit Tschechows Heimatstadt Taganrog, die am 14. und 15.7. mit einem konzertanten Festakt jeweils  ihren Höhepunkt erreichte. Bürgermeister Engler fand deshalb uneingeschränkt die Zustimmung der Gäste, als er in seinem Grußwort betonte:

„Ich glaube, dass das Heilbad Badenweiler mit seiner über 100-jährigen Tradition der kulturellen Beziehungen nach Russland und seiner zehnjährigen Partnerschaft mit Taganrog der Zielsetzung des Kulturdialogs in überzeugender Weise nachkommt. Die beiden Tschechow-Städte Taganrog und Badenweiler haben mit ihrer Beharrlichkeit und Treue zu Person, Werk und Wirkung des Schriftstellers Tschechow ein Modell internationaler Literaturrezeption geschaffen, das für das zukünftige "Haus Europa" beispielhaft wirken könnte. Badenweiler, sein Tschechow-Museum und die mit ihm kooperierende Deutsche Tschechow-Gesellschaft werden jedenfalls nach Kräften bemüht sein, diesen Anspruch auf eine gemeinsam zu schaffende Zukunft zum Wohle eines friedlichen und prosperierenden Europas Realität werden zu lassen.“

Wladimir Prasolow, der erst vor vier Monaten ins Amt gewählte Oberbürgermeister der Industrie- und Handelsgroßstadt Taganrog, betonte seinerseits, dass es vorrangig um die Begegnung der Menschen und um Vertrauensbildung gehe, die bewirken müssten, dass die frühere Distanz zwischen Ost und West abgebaut werden könne. Diese schwierige Aufgabe werde vor allem der Kultur zugewiesen und Badenweiler leiste hier eine exzellente Arbeit. Zudem setze man auch darauf, gegenseitig voneinander lernen zu können. Gewiss ein Hinweis, dass der Verwaltungsfachmann und Ingenieur Prasolow sich verstärkt für die kommunalen Dienste wie Müllabfuhr oder Wasserversorgung interessierte, die in Taganrog Problembereiche darstellen. Vizekonsul Alexander Schtschipin, der als Vertreter des im Urlaub befindlichen russischen Generalkonsuls Ruslan Karasanow aus Frankfurt gekommen war, sah in Badenweiler den südlichsten Stützpunkt seines diplomatischen Kulturauftrags und versprach nicht nachlassendes Interesse und Unterstützung. Dr. h.c. Gernot Erler, MdB, Fraktionsvorsitzender und Staatsminister a. D., begrüßte als gerade wiedergewählter Präsident des Kuratoriums der Deutschen Tschechow-Gesellschaft. Mit Zahlen – etwa 75 Mrd. €  Warenexporte in den ersten drei Monaten 2012 bei weiterem starken Zuwachs – was Deutschland als wichtigstem Handelspartner Russlands eine Schlüsselstellung zuweise, sei der bilaterale Dialog trotz aller Irritationen das Gebot der Stunde.

Nach diesem kulturpolitischen Aufschwung folgte ein musikalischer Höhenflug mit dem Kammerchor LIK („Antlitz“), der unter der Leitung von Konzertmeister Andrej Loginow mit 17 Sängerinnen und Sängern aus Taganrog angereist war und sowohl die religiöse Spiritualität als auch die Lebensfreude des russischen Südens zu einem exklusiven Hörerlebnis verdichtete.  Zwei Konzertteile standen im Programm, ein klassischer mit Händel, Bach, Mozart, Borodin und Tschajkowski, im zweiten Teil folgte eine „Melange“ mit Kompositionen von Rimski-Korsakow über die Beatles bis zu Kosakenliedern mit originellen Arrangements. Der Chor ließ keinerlei Zweifel aufkommen, dass er zu den Spitzenchören Russlands zählt. Larissa Terentjewa etwa brillierte mit ihrem Solo des „Ave Maria“ in den höchsten Stimmlagen und Andrej Lebedjew zauberte die Aura des großen Donflusses auf die Bühne. Das Großherzogliche Palais bot anschließend das romantische Ambiente für einen Empfang aller Gäste durch die Gemeinde.

Tags darauf hatten Heilbad und Tschechow-Gesellschaft zur traditionellen Gedenkstunde am Tschechow-Denkmal am Burgberg geladen, wo sich vor der Mittagsstunde eine große Gruppe Tschechow-Enthusiasten deutscher und russischer Provenienz versammelt hatte, um Blumen niederzulegen und den Worten des Tschechow-Forschers Prof. Dr. Rolf-Dieter Kluge (Univ. Tübingen und Warschau) über die teils komische, teils tragische Geschichte des weltweit ersten Tschechow-Denkmals zu lauschen. Es war ein wahrhafter Tschechowscher Regieeinfall der Natur, der die Gedenkstunde mit einem Wolkenbruch schlagartig beendete.

Als unerwarteter, vorher noch nie erprobter Höhepunkt der Gedenkkultur erwies sich die letzte Veranstaltung der Tschechow-Woche, eine Andachtsstunde in der voll besetzten katholischen Marienkapelle, in der Tschechow nach seinem Tode 1904 aufgebahrt worden war. Das Orchester Prima la musica, der Chor LIK und Schauspieler Martin Lunz als Rezitator einer Tschechow-Erzählung zeigten, was in diesem kleinen byzantinischen Kuppelbau von 1862 an großartigen Hörerlebnissen möglich ist. Nicht minder beeindruckend war die von Igumen Philippe, dem Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche beim Europarat in Straßburg  auf Russisch zelebrierte „Panichida“ (Gedenkgebet) für den verstorbenen Tschechow. Es dürfte wohl das erste Mal seit dem Ersten Weltkrieg gewesen sein, dass die Marienkapelle eine solche Liturgie mit Konzertprogramm erlebt hatte. Priester Philippe versprach, im nächsten Jahr mit seinem orthodoxen Kirchenchor die Panichida im Dialog zu singen. Ein Abschiedsempfang im Rathaus mit Unterzeichnung einer Urkunde zur Erneuerung der Partnerschaft und Eintragung ins Goldene Buch ließ die Kulturwoche auf das Fröhlichste ausklingen.

Heinz Setzer