Herbstprogramm der Deutschen Tschechow-Gesellschaft
Michail Bulgakow – ein Schriftsteller in Ausnahmeposition
Start des Herbstprogramms der Deutschen Tschechow-Gesellschaft
Seitdem die Deutsche Tschechow-Gesellschaft vor 15 Jahren gegründet wurde, versteht sie sich als lebendige Kulturbrücke zwischen Russland und Deutschland im Namen und Geiste des Arztes, Schriftstellers und Dramatikers Anton Tschechows.
Dieser Aufgabe stellt sie sich auch in den jetzigen Zeiten.
Die DTG lädt deshalb am
Freitag, den 25. Oktober, 20 Uhr im Annette-Kolb-Saal des Kurhauses
als Start ihres Herbstprogramms zur Lesung aus Werken des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow (1891-1940) unter dem Titel
„Ein Spötter im Schatten des Henkers,
ein freier Geist in den Jahren der Finsternis“.
(Zitat aus Bulgakow: Arztgeschichten, Luchterhand, 1993)
Es lesen die Theaterkünstlerin Erica Risch (Landau i. d. Pf.) und der Schauspieler Jürgen Reitz (Saarbrücken), Moderation: Heinz Setzer.
Bulgakow - ein Stein des Anstoßes
Nach der 1967 posthum erstmals erfolgten Publikation seines letzten Romans „Der Meister und Margarita“ zählt Bulgakow heute weltweit zu den wichtigsten russischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Schon das späte Veröffentlichungsdatum lässt ahnen, dass der Autor in der Sowjetunion mit Repressalien zu kämpfen hatte. Tatsächlich wurden seine Romane, Erzählungen und Dramen von der Sowjetunion seit 1929 weitgehend mit Druck- und Aufführungsverboten belegt, manche Werke konnten erst in der Perestrojka-Zeit der späten 1980er Jahre in der Sowjetunion erscheinen. Der Westen sieht sein Werk, das sich vor allem um gesellschaftliche Humanität, Verantwortung des Einzelnen und Freiheit dreht, an der literarischen Klassik orientiert und letztlich nur bedingt zur sowjetischen Literatur gehörig. Sichtbar ist das etwa gerade in Bulgakows letztem Roman mit der Hinwendung zur Religions- und Faustproblematik.
Bulgakow ist nicht nur ein Meister des realistischen Erzählens, wie etwa in seinen Arztgeschichten oder der „Weißen Garde“, sondern vor allem auch ein Schriftsteller des Phantastischen wie in „Der Meister und Margarita“ oder des Satirischen wie in der Erzählung „Die verhängnisvollen Eier“. Kein Wunder, dass Bulgakows Werke als gegen den Rationalismus und Materialismus der kommunistischen Ideologie gerichtet Anstoß erregten.
Bulgakow - ein Autor aus Kiew
Bulgakow selbst wurde in einer Kiewer Intellektuellenfamilie geboren, sein Vater Afanassi war Professor an der Kiewer Theologischen Akademie, er selbst ging in Kiew zur Schule, studierte dort auch Medizin und ließ auch seinen ersten und umfangreichsten Roman „Die Weiße Garde größtenteils in der Ukraine spielen “ (1924 Erstveröffentlichung, dann erst wieder 1966). Dennoch gilt Bulgakow heute in der Ukraine und Russland als ausschließlich russischer Schriftsteller, was zu Konsequenzen im jetzigen, auch ideologisch geführten Kampf zeitigt. Diese verstärkte russophobe Tendenz beschreibt etwa Dieter Segert, Emeritus der Universität Wienֽ mit dem Artikel „Bulgakow entsorgen?“ (in dem „Weltbühnen“-Nachfolger „Das Blättchen“ Nr. 8, 2023)ְ Dies reflektiert den Abbau seines Denkmals 2022 in Kiew und die Pläne, auch sein dortiges Museum zu schließen sowie die allgemeine nationalistische Tendenz, alles Russische zum Feindbild zu machen.
Alles Grenzerfahrungen – ein Streifzug durch sein Werk
Um die ganze Vielseitig- und Vielbödigkeit Bulgakows vorzuführen, sollen vier verschiedene Texte als Schlüsselpositionen gelesen werden: Zu Beginn aus der realistischen Erzählung über die Erfahrungen eines jungen Arztes („Die stählerne Kehle“, 1925), dann aus dem Roman „Die Weiße Garde“ (1924), der zu den interessantesten Werken der sowjetischen Frühzeit gehört. Es folgt die prächtige Satire „Die verhängnisvollen Eier“, in der der utopische Materialismus des Sowjetsystems die Gesellschaft an den Rand des Untergangs führt. Letzte Lesung widmet sich dem längst zur Weltliteratur zählenden Roman „Der Meister und Margarita“, in dem der Teufel samt Gefolge das kommunistische Moskau auf den Kopf stellt und eine Binnenerzählung im Roman Christus und Pontius Pilatus erlebbar macht. Die letzten Zeilen dieses Romans hat Bulgakow seiner Frau auf dem Sterbebett diktiert.
Bulgakow und Badenweiler
Übrigens gibt es auch eine, wenn auch weitläufige Verbindung Bulgakows nach Badenweiler. Nach seinem Publikationsverbot wandte sich Bulgakow direkt an Stalin mit der Bitte, ihn aus dem finanziellen Elend zu retten. Stalin gewährte ihm, dem bereits renommierten Autor und Dramatiker, 1931 eine ihn durchaus herabwürdigende Stelle als Hilfsregisseur im berühmten Moskauer Künstlertheater an, dessen künstlerischer Leiter, Konstantin Stanislawski, in Badenweiler Zuflucht gefunden hatte. Die Machtergreifung der Nazis machte Stanislawskis nach 1932 allerdings weitere Deutschlandaufenthalte unmöglich.
Heinz Setzer
Vorschau auf weitere Veranstaltungen
Als weitere Veranstaltungen der DTG folgen noch als Kooperation von Literarischem Museum Tschechow-Salon Badenweiler am Sonntag, dem 27.10. um 15 Uhr im Kurhaus Badenweiler die diesjährige Stephen-Crane-Veranstaltung mit dem Titel: Vom toten und vom kalten Gott. Reden von Gott bei Stephen Crane und Friedrich Nietzsche. Einführung: Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck (Univ. Freiburg), Vortrag von Rolf Langendörfer.
Und am Sonntag, den 3.11. um 16 Uhr im Kurhaus lädt die DTG zum Vortrag von Joachim Gerber (Gießen) zu einem literarischen Streifzug mit Bildern unter dem Titel „„…den Sklaven aus sich herauspressen…“ Diener und Bediente bei Tschechow.“
Moderation: Prof. Dr. Dorothea Scholl
Eintrittspreise:
Bulgakow-Lesung 25.10.: 15 €; Kurkarte und DTG-Mitglied 13 €, Schüler/Studierende 7 €
Crane-Lesung 27.10.: Eintritt frei
Tschechow-Vortrag 3.11.: 15 €, Kurkarte und DTG 13 €, Schüler/Studierende 7 €