Kultur als Lebensader der Zusammenarbeit mit Russland. Zu gemeinsamen Projekten im Jahr 2013.

Noch bis Mitte des Jahres 2013 läuft das offizielle Jahr der Begegnung „Deutschland in Russland. Russland in Deutschland“  der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation, welches, wie das Auswärtige Amt, das Goethe-Institut und der Ost-Ausschuss der dt. Wirtschaft unisono zur Eröffnung formulierten, „eindrückliche Erlebnisse, neue Erkenntnisse und zukunftsträchtige Visionen“ vermitteln soll.

Auch Badenweiler als Tschechow-Stadt wird in diesem Jahr daran beteiligt sein und gleich zwei Mal, im Mai und in der Tschechow-Woche im Juli,  hochkarätige russische Theater aus Moskau exklusiv zu Gast haben.  Dabei treten das Internationale Literaturforum Badenweiler als Veranstaltungsplattform des Literarischen Museums „Tschechow-Salon“ Badenweiler und die Deutsche Tschechow-Gesellschaft e.V., die im Heilbad ihren Sitz hat, als Organisatoren auf.

Exklusives Gastspiel: Staatliches Akademisches Zentrals Obraszow-Puppentheater Moskau

Am 24. und 25. Mai 2013, jeweils um 20 Uhr, wird im Theatersaal im Kurhaus das weltweit bekannteste Theater seines Genres, das Staatliche Zentrale Akademische Obraszow-Puppentheater in Moskau, sein neuestes Programm zeigen.  Unter dem Titel „Ein sehr alter Mann mit großen Flügeln“ hat das Theater drei Erzählungen des Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez anlässlich von dessen 85. Geburtstag  inszeniert, die in Badenweiler exklusiv als Erstaufführung in Deutsch gespielt werden. Das 1931 gegründete  Obraszow-Puppen-Theater ist kein Kindertheater, sondern weltweit das bedeutendste Theater dieses Genres mit eigener dramatischer Ästhetik und großer Tradition. Gespielt wird mit marionettenähnlichen Puppen in Lebensgröße, welche trotz ihrer Menschenähnlichkeit ihre künstliche Natur nicht verbergen. Die Figuren werden allerdings nicht durch Fäden gelenkt, sondern direkt von den Händen der Mitwirkenden geführt. Die Inszenierung zeigt drei Wege, die zum Glück führen und formulierte selbst darüber:

Das Theater wird zur Metapher über den Puppen-Menschen in den Händen eines göttlichen Schicksals. Es  lässt mit seiner Metaphorik, die sich mit Poesie, Groteske und Humor verbindet, die Welt des „magischen Realismus“ von Márquez aufscheinen. Und die magische Realität verwandelt sich in sichtbare Zauberei.

Dass dieses grandiose Gastspiel überhaupt in Badenweiler realisiert werden kann, verdankt das Heilbad derFinanzierung durch das Kulturministerium der Russischen Föderation, das es zum  Veranstaltungsteil des Deutsch-russischen Jahres der Begegnung erhob.

Dass Badenweiler seit dem Tod Anton Tschechows 1904 besonders intensive Beziehungen nach Russland pflegt und seit 1954, als die Tschechow-Tradition des Kurorts wieder zu neuem Leben erweckt wurde, immer neue Triebe eines umfassenden Kulturnetzwerks entstehen, hatte sich gerade auch Ende letzten Jahres gezeigt.

Neues Glied im deutsch-russischen Netzwerk: Das Walter Scheel-Forum

Im Dezember 2012 hatten  das „Walter Scheel-Forum“ und der russische Honorarkonsul in Baden-Württemberg, Prof. Dr. Klaus Mangold,  zum ersten „Deutsch-russischen Dialog in Baden-Württemberg“ geladen. Fast 100 Repräsentanten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und öffentlichem Leben aus Deutschland und Russland waren ins Münstertal, Bad Krozingen und nach Freiburg gekommen,  um zum Ausbau der deutsch-russischen Beziehungen beizutragen und den zivilgesellschaftlichen Dialog beider Länder durch persönliche Kontakte zu vertiefen. Badenweiler hatte nicht nur die Ehre dabei vertreten zu sein, sondern auch Vorschläge für Einladungen machen zu dürfen.

Da diese neue Institution sich nun auch in diesem Jahr eng mit Badenweiler verbunden zeigt, sei sie mit ihrer Gründungsaktivität ein wenig näher dargestellt.

Fachlicher Höhepunkt der Gründungskonferenz war das eintägige Symposium (14.12.12) im Herzzentrum Bad Krozingen mit Eröffnungs-Redebeiträgen  von Prof. Mangold; Wladimir Granin, dem Botschafter der Russischen Föderation in Berlin; Tatjana Murdasowa, der Kulturministerin des russischen Gebiets Ulanowsk; Martin Hoffmann, dem  Geschäftsführer des Deutsch-russischen Forums (Petersburger Dialog) und dem deutschen Außenminister Dr. Guido Westerwelle.  Drei „Panels“ mit jeweils vier Impulsreferaten und anschließender Diskussion sollten anschließend den Sitzungstag bis zum Abend füllen. Der 93-jährige Schirmherr, Altbundespräsident Dr. Walter Scheel (Außenminister und Vizekanzler 1969-1974; Bundespräsident 1974-1979), der in Bad Krozingen wohnt und damit den Tagungsort vorgegeben hatte, war gleichfalls mit Gattin Barbara anwesend.

Badenweiler war zwei Monate zuvor aufgrund seiner internationalen Tschechow-Tradition vom Geschäftsführer  des Scheelschen Bundespräsidialamts, Christoph Höppel, gebeten worden, Literaturexperten aus Russland zur Teilnahme vorzuschlagen. Bürgermeister Karl-Eugen Engler und Museumsleiter Heinz Setzer waren sich der damit  gebotenen Chance bewusst, Badenweilers Literaturtradition eine neue öffentliche Plattform verschaffen zu können.  Teilgenommen hatten so auf Einladung des Heilbads die Professoren Konstantin Bobkow (Generaldirektor des Tschechow-Museums und der Gedenkstätte Melichowo), Viktor Gultchenko (Regisseur des Theaters „International Chekhov Lab“ und Direktor des „Tschechow-Instituts“ des „Staatlichen Zentralen Bachruschin-Theatermuseums Moskau“) und Wladimir Katajew, (Ordinarius der Lomonossow-Univ. Moskau,  Vorsitzender der „Tschechow-Kommission der Russ. Akademie der Wissenschaften“). Alle sind zudem, ebenso wie die angereisten Professoren Rolf-Dieter Kluge (Tübingen/Warschau) und Elisabeth Cheauré (Freiburg) aktive Mitglieder der Deutschen Tschechow-Gesellschaft  (DTG).  Gultchenko hielt im Panel 2 das Impulsreferat zum in Moskau gegründeten „Tschechow-Institut“ als Modell für ein neues grenzüberschreitendes Netzwerk.

Die Literatur-Phalanx verlieh dem ganzen Forum einen besonderen Tschechow-Flair. Viele Anwesende und Referenten waren für Badenweiler keine Unbekannten, etwa Arkadi Sosnow, Chefredakteur des Almanachs „Russischer Mäzen“ aus St. Petersburg, welcher schon 2004 die „Tschechow-Woche“ in Badenweiler begleitet hatte; Dr. Ernst-Jörg von Studnitz, dt. Botschafter a.D. in Moskau und Vorstandsvorsitzender des Dt.-russ. Forums (Petersburger Dialog); Dr. Gernot Erler, MdB, ebenfalls Vorstandsmitglied des Dialogs sowie Präsident des DTG-Kuratoriums; Wladimir Kotenjow, russ. Botschafter a.D.  und  Ruslan Karsanow, amtierender russischer  Generalkonsul in Frankfurt. 

Zur Strategie des neuen Forums

Die strategische Richtung des Forums zeigte sich am deutlichsten in der Plenumstagung. Bei seiner Eröffnungsrede verwies Dr. Mangold auf die Geschichte beider Länder.

1970, als Bundeskanzler Willy Brandt und Walter Scheel als damaliger Außenminister in Moskau den „Vertrag für Gewaltverzicht und für Zusammenarbeit mit der Sowjetunion“ unterzeichneten, war kaum vorstellbar, dass Russland jemals ein unverzichtbarer Partner Deutschlands werden könne, auch wenn es manchmal, wie jetzt, politische Verstimmungen gebe. Deswegen gelte es, primär und konstruktiv die Gemeinsamkeiten und nicht das Trennende zu betonen. Außenminister Westerwelle ging gleichfalls von der  grundlegenden  Wende in der dt. Ostpolitik aus, um darzulegen, dass Russland gerade wegen seiner Kultur ein europäisches Land sei. Die heutige strategische Partnerschaft sei unverzichtbar, Kultur und Jugendaustausch müssten treibende Elemente werden. Gerade angesichts der aktuellen Verstimmungen müsse man über den „Modernisierungsdialog“und Kulturbegegnungen zum Zusammenwachsen der Gesellschaften gelangen. Die florierende Wirtschaft alleine könne diese Weltoffenheit nicht bewirken. Das deutsch-russische Kulturjahr 2012/13 werde dazu einen bedeutenden Beitrag leisten. Die nachfolgenden zwölf Referate, so auch das von

Gultchenko über das „Tschechow-Institut“, waren Lehrbeispiele dafür, wie dies gelingen könne, zeigte aber auch, welche kritischen Schwellen noch existierten.

Das zweite theatralische Highlight: das Internationale Tschechow-Experimentaltheater Moscow

Für Badenweiler sollte diese Konferenz die Basis bilden, auf der es dann gelang, für die Tschechow-Woche vom 15.-21.Juli 2013  das Moskauer  „International Chekhov-Lab“, das Internationale Tschechow-Experimentaltheater nach Badenweiler zu holen, das zum Staatlichen Zentralen A.A. Bachruschin-Theatermuseum gehört, dem größten Theatermuseum in der RF. Am 19.7. wird es eine Tschechow-Erzählung im Theater im Kurhaus zeigen „Der Typus des russischen Pechvogels“ und am darauffolgenden Tag, dem 20.7., das berühmte Drama Tschechows „Onkel Wanja“.

Dieses exklusive Gastspiel wäre ohne die Anschubfinanzierung durch das „Walter-Scheel-Forum“ nicht möglich gewesen. Auch die DTG, dann das Land Baden-Württemberg mit seiner „Arbeitsstelle für Literarische Museen“ in Marbach und die Gemeinde selbst ziehen finanziell alle an einem Strang, um das Gastspiel zu ermöglichen. Und wieder ist es auch die russische Seite, welchen einen entscheidenden Beitrag dafür erbringt.

Badenweiler kann sich nur wünschen, dass das Publikum diese engagierten Projekte durch intensive Besuche belohnen wird.

Hoher diplomatischer und kultureller Besuch vor der Türe

Dass am 27.4. Badenweiler mit dem russischen Botschafter Wladimir Grinin aus Berlin, dem Kulturbotschaftsrat Alexander Lopuschinski, und einer großen Delegation von Schauspielern, Regisseuren, Musikern und Künstler aus Russland zu Gast haben wird, zeigt ebenfalls, dass das Heilbad eine höchst außergewöhnliche kulturelle Attraktivität für Osteuropa besitzt.

Heinz Setzer